Auf ihrem Album „Tales Of A Hundred Thoughts“ nimmt uns Irina Kühn alias Plain Folly mit in ihr ganz eigenes Nimmerland. Ihr melancholischer, dramatischer, kaskadierender Indie Pop macht aber schnell klar: Dies hier ist nicht die heitere Disney-Variante mit Feenstaub und Gelächter. Nimmerland ist vielleicht nicht abgebrannt, aber eine ganze Ecke desillusionierter. Die Zeit tickt, sie tickt für uns alle, unsere Leben ziehen an uns vorbei, während wir in Gedankenpaläste fliehen.
In bewegenden, dramatisch wogenden, bei allen Ängsten aber zu jeder Zeit kraftvollen, cineastischen Songs erzählt Irina Kühn von Vergänglichkeit und dem Verblassen des Zaubers. Plain Folly ist ihr Baby, ihres ganz allein. Ihre Musik ist ihre Katharsis, die Songs sind von ihr erlebt, geschrieben und arrangiert, aufgenommen und finalisiert von Produzent Tom Schenk. Piano, Gitarre, Synthies und akzentuierende Drums von Moritz Müller (Heavytones, The Intersphere) zeichnen ein bedeutungsvolles, ahnungsvolles musikalisches, raumfüllendes Koordinatensystem, in dem Tori Amos, Phoebe Bridgers, Florence & the Machine und Hayley Williams als Referenzpunkte genannt werden können. Aber: Plain Folly bewegt sich auf ihrer eigenen Gerade – nicht zuletzt wegen ihrer besonderen, vollen, wandlungsreichen Stimme.
„Tales Of A Hundred Thoughts“ verhandelt ernste Themen mit entwaffnender Ehrlichkeit und intimer Offenheit. Und hüllt existentielle Fragen in schmerzhaft schöne, düster schimmernde, heilsame Indie-Schmuckstücke.
Music & Lyrics by Irina Kühn
Vocals, Piano, Keys, Guitars, Bass by Irina Kühn
Drums by Moritz Müller
Solo Guitar on “Breaking Clocks” by Andy Newman
Violin on “Still Here” by Sabrina Achstetter
Cello on “Still Here” by Göran Unzner
Programming and Synths on “Devote” by Tom Schenk & Irina Kühn
Recording, Engineering, Mix & Mastering by Tom Schenk (Tankraum Studio)
Additional Recordings by Irina Kühn
Produced by Tom Schenk (Tankraum Studio)
1. BETWEEN THE LINES
Ahnungsvolle Klänge und mantraesker Gesang bereiten die Bühne für Plain Follys neues Album: „A story 'bout the sun and moon..." Doch was unbeschwert, fast schon märchenhaft klingt, wird die Unschuld schon bald verlieren: „Words will fail me finally and reveal what’s between the lines.“ Es ist nie nur der Text. Es ist immer auch die Musik. Vorhang auf.
2. STILL HERE
Wir kommen nicht vom Fleck. Wir laufen, aber ohne Ziel, sind Sisyphos tagein, tagaus: „Still Here” beschreibt das lähmende Gefühl, ohne Orientierung durch dieses lächerlich kurze Leben zu trudeln. Treibsandgedanken – geschrieben in einer dunklen Phase, in der die Künstlerin nicht von der Stelle kam. Die beschwörende Atmosphäre der Strophen öffnet sich in einen großen, wogenden Refrain, akzentuiert von Violine und Cello. “A hundred ways but still no road to take – A hundred thoughts but still no words to say.“
3. OUT OF TUNE
Zwischen Kate Bush und Tori Amos oszilliert das entfesselte „Out Of Tune“. Teils Wiegenlied und teils Saloon-Ballade aus den Südstaaten mit einem hinreißenden Pianoarrangement, geht Plain Folly hier auffallend offensiv, körperlich, fordernd vor: Ein loderndes, begehrendes, dezidiert feminines Liebeslied über zwei Menschen, die nicht voneinander lassen können. Obwohl sie das eigentlich sollten. Plain Follys ganz persönliche Murder Ballad zwischen Ravel und Americana.
4. PHOSPHOR
„Ich habe mich schon seit meiner Kindheit gerne in Fantasiewelten geflüchtet, wenn die wahre Welt unbefriedigend war“, sagt Irina Kühn zur Inspiration für „Phosphor“, ihrem ganz eigenen Nimmerland. Hier erforscht sie die Unterschiede zwischen Eskapismus und Realitätsverlust bei einer Reise in ihr eigenes Unterbewusstsein. Being Plain Folly: Wavige Synthies, satte Eighties-Drums und flirrende Energie akzentuieren den toxischen Trip ins Ich. „I'm wishin’ for somethin’ that I won't ever have – But closin’ my eyes I can see the lights.“
5. DEVOTE
Eine in sich geschlossene Mini-Indie-Moritat hat sich Irina Kühn mit „Devote“ von der Seele geschrieben. Eine Geschichte über Hingabe im negativsten Sinn: als Selbstentwertung, Selbstaufgabe, Selbstzerstörung, ausgelöst durch eine nicht erfüllte toxische Liebe. Was elektronisch und düster mäandernd beginnt, changiert von silberner Hoffnung zurück in tiefe zuckende Schatten. Von Selbstermächtigung bis Selbstaufgabe ist es manchmal nur ein einziger Schritt – und „Devote“ ist der dunkel schimmernde Soundtrack dazu, umhüllt von verzweifelten, abgekämpften Vocals. Keine leichte Kost.
6. APART
„Apart“ ist ein packender Song über die Mauern um uns herum. Die Gräben, die wir gezogen haben, absichtlich oder unbewusst, und jetzt nicht mehr überbrücken können. Eine angespannte, fiebrige Trip-Hop-Aura Marke Goldfrapp unterstreicht das versponnene, jenseitige Vexierspiel zwischen der Trennung zweier Menschen und einer Entfremdung von sich selbst. „Fix your within to find your way out“: Ein Song wie ein Mantra.
7. BREAKING CLOCKS
„But there must be something more“: Mit „Breaking Clocks“ gelingt Plain Folly eine furiose, leidenschaftliche Indie-Hymne gegen Selbstzweifel und Resignation. „Die Zeit vergeht und vergeht und ich spüre, dass mein Leben nicht so läuft wie ich es gerne hätte. Und was mache ich? Ich versuche, es zu ignorieren und wegzulächeln“, sagt Irina Kühn über den ersten Song, den sie jemals für Plain Folly geschrieben hat. Druckvolle Drums, ein ungezähmtes Piano und ihr durchdringender Gesang verbreiten bei aller ernsten Memento-Mori-Stimmung dennoch einen aufrüttelnden Carpe-Diem-Gedanken: Mein Leben gehört mir allein. Self-Empowerment klang selten so einnehmend.
Plain Folly ist vieles. Unangepasst, nachdenklich, manchmal verträumt, manchmal eruptiv. Immer aber: DIY as fuck. Irina Kühn alias Plain Folly schreibt ihre eigenen Songs, spielt fast alle Instrumente ein, produziert teilweise selbst. Ihr melancholisch pulsierendes Indie-Prisma schafft sich zwischen Fiona Apple, Phoebe Bridgers und Florence + the Machine eine ganz eigene Nische, getragen von ihrer wandlungsreichen Stimme und ihrem perlenden Klavierspiel. Ihre Musik ist deswegen auffällig tief, ein wogender Ozean an Assoziationen und Emotionen, mal wunderschön und mal bedrohlich. Es gibt Licht, aber nicht ohne Schatten. Es gibt Schmerz, aber nicht ohne Hoffnung. Mal gestaltwandelnd als federleichter, mal als treibender Indie Pop mit einem Fokus auf ihre kraftvolle Stimme und ihr großes Talent an den schwarzen und weißen Tasten. Mal als eruptive Rock-Katharsis. Mal als dunkle Trip-Hop-Mär. Ihr 2023 erscheinendes neues Album vertont Selbstzweifel und Vergänglichkeit, stellt sich bei aller Schwere kühn und allein den Stürmen des Lebens – ein heilsamer, musikalisch betörender Akt des Self-Empowerment. Plain Folly: Immer schon against all odds. Und eine sagenhaft aufregende Indie-Neuentdeckung.